Veranstaltung: | Unterbezirksdelegiertenkonferenz 2022 |
---|---|
Tagesordnungspunkt: | TOP 8.2 Andere Anträge (Reihenfolge nach Priorisierung der Delegierten) |
Antragsteller*in: | SB Ehrenfeld |
Status: | Angenommen (Ja 69, Nein 0, Enthaltung 1) |
Beschlossen am: | 12.02.2022 |
Eingereicht: | 28.01.2022, 20:37 |
A26: Gegen jeden Antisemitismus - Neue Anfeindungen gegen Jüdinnen und Juden nicht unbeantwortet lassen!
Weiterleitung
- Weiterleitung an:
- Landeskonferenz der NRWJusos
Antragstext
Querdenken, AfD, Nahostkonflikt: Neue Phänomene und alte Hüte – Antisemitismus
benennen
Trotz aller „Nie Wieder“-Bekenntnisse nimmt der Antisemitismus und damit die
Zahl antisemitischer Straftaten in NRW stark zu. Allein 206 waren es im ersten
Halbjahr 2021, im gesamten Jahr davor 276. Deutschlandweit haben sich die
antisemitischen Vorfälle seit 2015 fast verdoppelt, von 1366 auf 2351 Fälle im
Jahr 2020. Dazu zählen Volksverhetzung, Beleidigungen, Bedrohungen und
Körperverletzungen.
Laut den Zahlen der Polizeistatistiken kann der Großteil der antisemitischen
Straftaten rechtsextremen Motiven zugeordnet werden. Bei Umfragen unter Jüdinnen
und Juden in Deutschland werden vor allem Beleidigungen und körperliche Angriffe
als mehrheitlich israelbezogen oder islamistisch motiviert empfunden.
Obwohl in Deutschland nur 0,1 Prozent aller Menschen jüdischen Glaubens sind,
richteten sich 2020 70% aller Angriffe auf Religionsgemeinschaften und ihre
Vertreter*innen gegen Jüdinnen und Juden - eine schockierende Zahl.
Als Jusos muss es daher unser Anspruch sein, Antisemitismus nie unbeantwortet zu
lassen – egal ob er von Rechtsextremist*innen und Rechtspopulist*innen kommt,
aus linken Milieus, mit islamistischem Hintergrund oder aus der Mitte der
Gesellschaft.
Brunnenvergifter-Mythen in Pandemiezeiten
In der Covid-Pandemie bekommen antisemitische Verschwörungstheorien neuen
Aufwind. Sei es die „New World Order“ mit Giftspritze und Mikrochip von Bill
Gates, oder Attila Hildmann, der zehntausenden Follower*innen ganz ohne Codes
erzählt, das Judentum sei für die Pandemie verantwortlich. Dazu kommen diverse
Gleichsetzungen der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie mit dem
Nationalsozialismus, von gelben „Ungeimpft“-Sternen bis zu Jana aus Kassel, die
sich fühlt „wie Sophie Scholl“. All das hört und liest man bei Querdenken-Demos
und auf einschlägigen Telegram-Channels, bei der AfD und zuweilen auch
abgeschwächt bei Hans-Georg Maaßen.
Antisemitische Chiffren reproduzieren dabei den Mythos einer jüdischen
Weltverschwörung, während durch Holocaust-Relativierungen Schritt für Schritt
die Verbrechen der Nazis verharmlost und die Opfer der Shoah verhöhnt werden.
Besonders besorgniserregend ist dabei die Gleichgültigkeit derer, die nicht
direkt dem rechten Rand zugeordnet werden können und sich selbst als Mitte der
Gesellschaft bezeichnen oder es bis vor kurzem sogar waren. Zuweilen ist
Antisemitismus dabei gar der gemeinsame Nenner von Rechtsextremen, Linken und
Esoteriker*innen.
Dass Verschwörungsmythen tödliche Konsequenzen haben können, zeigt der Anschlag
von Halle, bei dem der Täter sich im Internet radikalisiert hatte, an eine
“jüdische Weltverschwörung” glaubte und gezielt möglichst viele Betende in einer
Synagoge ermorden wollte.
Der Jude unter den Staaten
Ein Aufflammen des Nahostkonflikts bedeutet leider auch für hier lebende
Jüdinnen und Juden eine Gefährdung. Im Mai 2021 gab es in NRW und Deutschland
eine Vielzahl von israelfeindlichen und teils islamistischen Demonstrationen,
bei denen Vernichtungsparolen und NS-Vergleiche wie "From the river to the sea,
palestine will be free", „Ihr Juden, Mohammeds Heer kommt bald wieder“,
„Zionismus = Terrorismus“ oder „Well done Israel, Hitler would be proud“
skandiert wurden oder bei Demo-Aufrufen und auf Schildern zu lesen waren.
Neben offenem Judenhass zeigte sich hier, wie antisemitische Stereotypen und
Anfeindungen quasi ersatzweise auf Israel übertragen werden. Dieser
israelbezogene Antisemitismus ist oft unscheinbarer, aber nicht weniger
gefährlich, weil er den einzigen jüdischen Staat als Schutzraum für jüdisches
Leben bedroht. Er beginnt dann, wenn nicht mehr das Regierungshandeln kritisiert
wird, sondern Israel als ganzes delegitimiert, dämonisiert und mit doppelten
Standards behandelt wird.
Von “Delegitimierung” spricht man dabei, wenn Israels Recht auf Existenz durch
Kolonialismusvergleiche angezweifelt werden soll oder direkt seine Auslöschung
als jüdischer Staat gefordert wird. Dämonisierung meint die Darstellung Israels
anstelle des Judentums als “das Böse” überhaupt - beispielsweise durch die
Gleichsetzung des Agierens Israels mit den deutschen Verbrechen im
Nationalsozialismus.
Und doppelte Standards gegenüber Israel zeigen sich dann, wenn der jüdische
Staat anders behandelt und mit anderen Maßstäben gemessen wird als andere
Länder. Zum Beispiel, wenn trotz massiver Menschenrechtsverletzungen weltweit
Israel im UN-Menschenrechtsrat öfter verurteilt wird als Syrien, Nordkorea, der
Iran, China und Venezuela zusammen.
Warum das gefährlich ist, zeigt sich auch bei den Übergriffen auf Synagogen und
Jüdinnen und Juden in Deutschland, die absolut nichts mit der Politik des
tausende Kilometer entfernten Staates Israel zu tun haben und dennoch dafür
verantwortlich gemacht werden.
Mal wieder von nichts gewusst - Der Antisemitismus der Mitte
2022 jährt sich die Wannseekonferenz, bei der die „Endlösung der Judenfrage“ und
damit das Ziel der Vernichtung von 11 Millionen Jüdinnen und Juden beschlossen
wurde, zum 80. Mal. Dieses beispiellose Verbrechen war nur möglich durch eine
Mehrheitsgesellschaft, die jahrzehntelang, wenn nicht sogar jahrhundertelang
Antisemitismus in Deutschland toleriert hat. Während sich die Deutschen heute
als „Aufarbeitungs-Weltmeister“ feiern, ist antisemitisches Gedankengut noch
immer weit verbreitet.
Studien zeigen, dass jede*r Vierte noch immer Aussagen wie “Juden haben zu viel
Macht auf den internationalen Finanzmärkten” zustimmt und jede*r Dritte ganz
oder teilweise der Aussage, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland noch immer zu
viel Einfluss hätten. 41 Prozent meinen sogar, “Juden sprechen zu oft über den
Holocaust.”.
Umso mehr lehnen wir es ab, wenn rechte Politiker*innen versuchen mit Reden vom
“importierten Antisemitismus” davon abzulenken, wie tief antisemitisches Denken
noch immer in einem großen Teil der deutschen Bevölkerung verankert ist und
Nährboden bietet für Verschwörungsmythen und antisemitische Übergriffe. Wenn die
Hälfte aller Schüler*innen noch nicht weiß, was “Auschwitz” ist, muss klar
werden, wie wichtig Gedenken an den Holocaust und die Bildungsarbeit über seine
ideologischen Grundlagen sind. Und wie richtig der Kampf gegen rechte Kräfte
ist, die mit “Vogelschiss”-Rhetorik versuchen, die Geschichte umzuschreiben und
einen unerträglichen “Schlussstrich” unter die Verbrechen der Nazis ziehen
wollen.
„Nie wieder“ muss praktisch werden – Antisemitismus entgegentreten
Gegen wirklich jeden Antisemitismus
Wie weit verbreitet Antisemitismus ist und aus welchen verschiedenen Milieus er
kommen kann, haben die letzten Jahre wieder einmal gezeigt. Wir wollen uns nicht
von dieser Komplexität einschüchtern lassen - im Gegenteil. Als politischer
Verband müssen und wollen wir Antisemitismus mit all seinen Facetten erkennen
und bekämpfen.
Grundlage jeder Arbeit gegen Antisemitismus muss es daher sein,
Judenfeindlichkeit immer und überall auch als solche zu benennen. Wir bekennen
uns deshalb zur Antisemitismus-Definition und den Beispielen der International
Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) als Arbeitsgrundlage für unseren Kampf
gegen Antisemitismus. Die Definition der IHRA lautet:
„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden, die sich
als Hass gegenüber Jüdinnen und Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus
richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen
und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder
religiöse Einrichtungen.“, die Beispiele erläutern und ergänzen die Anwendung
der Definition.1
„Kauft nicht bei Juden“? BDS bleibt antisemitische Kackscheiße
Um israelbezogenem Antisemitismus entgegenzutreten, brauchen wir eine klare
Linie gegen die Delegitimierung und Dämonisierungs Israels und akzeptieren es
nicht, wenn an Israel andere Ansprüche angelegt werden als an andere Länder.
Als Jusos verurteilen wir jegliche Übergriffe und Ausschreitungen unter dem
Deckmantel der “Israelkritik”, bekräftigen unsere Ablehnung eines Israel-
Boykotts und jeglicher Zusammenarbeit mit BDS-unterstützenden Personen und
Organisationen. Solidarität mit jüdischem Leben muss immer auch Solidarität mit
Israel und seinem Existenzrecht heißen.
Gegen die neuen besorgten Bürger*innen – keine Normalisierung von Querdenken
Auch wenn Rassismus und Antisemitismus in ihren Funktionsweisen sehr
unterschiedlich sind, so eint sie doch, dass Rechte mit ihrer Hilfe versuchen,
komplexe Probleme auf vermeintliche “Sündenböcke” zu projizieren. Den neuen
“besorgten Bürger*innen”, die heute gegen eine vermeintliche Corona-Diktatur
demonstrieren, wollen wir Solidarität entgegensetzen mit allen, die
gesundheitlich bedroht oder antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt sind.
Wir werden deswegen auch immer dann auf die Straße gehen, wenn antisemitische
Verschwörungsmythen und Holocaustrelativierungen wiederkehren. Eine
Normalisierung von Querdenken & Co ist für uns keine Option – wir wollen und
werden weiterhin aufklären, widersprechen und zu Gegendemonstrationen aufrufen.
Hoffen, dass die Holztür hält?! – Echter Schutz für jüdisches Leben
Wenn am höchsten jüdischen Feiertag nur eine Holztür ein Massaker in einer
Synagoge verhindert, hat der Staat versagt – genau so war es beim Anschlag in
Halle an Jom Kippur 2019. Eine bildlichere Darstellung dafür, dass Jüdinnen und
Juden auch 70 Jahre nach der Gründung der BRD nicht frei von Angst leben können,
gibt es kaum.
Jüdinnen und Juden dürfen in Deutschland nie wieder um ihre Sicherheit fürchten
müssen. Der Schutz für jüdische Einrichtungen durch Sicherheitsbehörden muss
deshalb eine Selbstverständlichkeit sein: Sowohl in Synagogen, aber u.a. auch in
jüdischen Bildungseinrichtungen, Restaurants und Friedhöfen und in enger
Abstimmung mit den jüdischen Gemeinden.
Zuhören und handeln – Forderungen jüdischer Organisationen ernst nehmen
Entscheidend für den Kampf gegen Antisemitismus ist für uns vor allem die
Perspektive der Betroffenen. Jüdische Organisationen fordern schon seit langem
zahlreiche Maßnahmen, denen wir uns als Jusos nur anschließen können.
Dazu gehören eine Reform der Polizeistatistik in NRW, um antisemitische
Straftaten genauer zuordnen zu können; der Ausbau von Beratungs- und Melde-
Angeboten für Betroffene; eine Erhöhung der Sichtbarkeit jüdischen Lebens;
Präventions- und Bildungsarbeit an Schulen; ein Verbot der Hamas in Deutschland
und eine konsequente Überwachung der AfD und ihr nahestehender Kräfte.
Begründung
erfolgt mündlich.