Veranstaltung: | Unterbezirksdelegiertenkonferenz 2021 |
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Tagesordnungspunkt: | Angenommene Anträge |
Antragsteller*in: | Stadtbezirk Kalk |
Status: | Angenommen |
Abstimmungsergebnis: | Ja: 24, Nein: 16, Enthaltungen: 13 |
Eingereicht: | 07.03.2021, 15:55 |
13 - A5: Links sein heißt kein Vaterland zu haben: Nein zu Herkunfts-DNA-Tests!
Weiterleitung
- Weiterleitung an:
- Landeskonferenz der NRW Jusos, Parteitag der KölnSPD
Antragstext
DNA-Tests zur genetischen Erforschung der eigenen Herkunft erfreuen sich
weltweit wachsender Beliebtheit. Doch das ist ein Problem. Denn wo Daten, zumal
genetische, einmal erhoben, verarbeitet und auswertbar gemacht werden, da nutzt
man sie auch. Zwar bleiben die Ergebnisse bislang in den Händen der Personen und
Unternehmen, die sie erheben - doch auch Staaten beginnen zunehmend, die
"biogeographische Herkunft" von Personen zu ermitteln und, bislang
ausschließlich, in der Strafverfolgung einzusetzen.
Wissenschaftler*innen zweifeln an der Seriosität der genutzten Methoden zur
Ermittlung der “biogeographischen Herkunft”: Unternehmen laden die genetischen
Informationen in ihre (wachsenden) Datenbanken und prüfen sie auf
Übereinstimmungen mit anderen DNA-Daten aus unterschiedlichen Regionen der Welt.
Je nach Datenbank weichen das Ergebnis und die damit ermittelte "Herkunft" also
voneinander ab. Der Genetiker Mark Stoneking führt dazu aus: "Diese Daten sind
nicht realistisch, sondern modellbasiert. [...] Die Prozentangaben sind nur eine
ungefähre Einschätzung und sollten nicht zu ernst genommen werden. [...] Was man
kann, ist großflächige geografische Räume festzulegen, aber so viel Prozent
britisch, deutsch oder irisch, das sind Märchen. Das ist nicht korrekt."(1)
Zumal Menschen die Grenzen zwischen Staaten gezogen haben - mit der DNA hat das
nichts zu tun.
Für den Privatgebrauch sind DNA-Tests zur "Entdeckung" der eigenen
"Ahnengeschichte" bereits seit längerem erhältlich. Dabei entstehen riesige DNA-
Datenbanken, die Unternehmen neben den eigentlichen Ahn*inenforschungsanliegen
der Käufer*innen unter anderem "für interne Geschäftszwecke, zur Verbesserung
und Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen, [und] zur Durchführung
interner Datenanalysen" verwenden können (AGB MyHeritage; 08.02.2021). Das
Verlangen danach, mehr über die eigene Herkunft zu erfahren, wird somit für
kommerzielle Zwecke mit nicht absehbaren Konsequenzen genutzt - die Käufer*innen
zahlen dafür nicht nur mit viel Geld, sondern auch mit ihrer DNA - und somit
gleichzeitig auch mit der DNA ihrer Angehörigen, was deren Rechte verletzt und
etwa Krankenkassen und ähnlichen Playern neue Möglichkeiten der
"Risikoermittlung" erschließt. Die Weitergabe von Daten an Versicherungen und
weitere Institutionen ist den AGB mehrerer Anbieter*innen zufolge derzeit nur
mit Zustimmung der Käufer*innen möglich, was jedoch nicht für die Ewigkeit
festgeschrieben sein muss. Das Risiko einer (zwangsweisen) Anzapfung derartiger
Datenquellen durch entsprechende staatliche Erlasse ist ebenso real wie die
Bedrohung durch Hacker*innenangriffe.
Im Kontext der Auswertung von DNA-Daten im Zuge strafprozessualer Ermittlungen
ergeben sich zusätzliche Probleme: Erstens sind viele DNA-Spuren an Tatorten
verunreinigt oder mit anderen DNA-Spuren vermischt und somit nicht eindeutig
auswertbar. Zweitens sind die Proben geographisch nur so unspezifisch
auswertbar, dass lediglich große Abweichungen in der DNA sauber identifiziert
werden können. Somit sind nur Spuren, die zu Täter*innen mit von der
Mehrheitsbevölkerung "abweichender" DNA führen, in der polizeilichen Fahndung
mit Mehrwert verwertbar. Aus diesem Grund ist auch die Nutzung genetischen
Materials zur Fahndung nach Täter*innen anhand phänotypischer (also äußerlich
erkennbarer) Merkmale wie Augen-, Haar- und Hautfarbe kritisch zu sehen, da sie
Racial Profiling in ähnlicher Weise befeuert. Auch diese Merkmale sind bei der
Fahndung nur hilfreich, wenn sie den Personenkreis, nach dem gefahndet wird,
merklich einengt. Aufgrund des fehlenden Mehrwerts der Auswertung von DNA-Proben
weißer Menschen zu Fahndungszwecken wird so in der Berichterstattung wie im
Ermittlungsgeschehen selbst ein Fokus auf BIPoC gelegt. Die Validität der DNA-
Auswertung zu Fahndungszwecken ist somit sehr begrenzt, bietet allerdings
dennoch eine Grundlage für Racial Profiling, da die Polizei aufgrund der
biogeographischen DNA-Analyse einen begründeten Verdacht von Tatverdächtigen
etwa aus dem afrikanischen Raum aussprechen kann, der Fahndungserfolg bei diesen
Personen somit wachsen dürfte und sich somit (straffällige) BIPoC häufiger in
den Kriminalstatistiken wiederfinden werden.
Mit diesen „wissenschaftlichen“ Methoden im Rücken lassen Rechte schon jetzt
Gesetze verabschieden. Wie real die Gefahr einer staatlichen Nutzung von DNA-
Auswertungen zur Abstammung von Personen bereits heute ist, zeigt etwa der
Freistaat Bayern. Dieser umgeht im BayPAG (Bayerisches Polizeiaufgabengesetz)
die ansonsten hohen Nutzungsanforderungen an die DNA-Analyse-Datei des
Bundeskriminalamtes, indem er "zum Zwecke der Feststellung des DNA-
Identifizierungsmusters, [die Erfassung] des Geschlechts, der Augen-, Haar- und
Hautfarbe, des biologischen Alters und der biogeographischen Herkunft des
Spurenverursachers" ermöglicht. (2,3,4,5) Diese Zwecke gehen weit über die reine
1:1-Überprüfung der Passung zweier Proben miteinander hinaus. Zwar scheiterte
Bayerns Versuch, dies 2019 auch in der Strafprozessordnung des Bundes zu
implementieren und somit bundesweit DNA-basiertes Racial Profiling zu
ermöglichen. Eine im Koalitionsvertrag vereinbarte "Ausweitung" der DNA-Analyse
haben CDU und SPD in diesem Zuge allerdings bereits beschlossen.
Nach Recherchen von belltower.news gab es in Deutschland bis vor wenigen Jahren
bislang eine Untersuchung der "biogeographischen Herkunft": bei der Ermordung
durch den NSU der Polizistin Michelle Kiesewetter. Die DNA deutete angeblich auf
"eine Frau osteuropäischer Herkunft" als Täterin hin, was Sintize und Romnja
einem Generalverdacht aussetzte (mindestens 800 Personen mussten eine
Speichelprobe abgeben). Die DNA stammte von einer Mitarbeiterin der Firma, die
die Wattestäbchen für die forensische Abteilung der Polizei herstellte. Die NSU-
Mörder*innen blieben unentdeckt, der Zentralrat der Sinti und Roma beklagte noch
2018, Minderheiten würden "dadurch pauschal kriminalisiert und massiv
verdächtigt." (6)
Schlussendlich gilt: Humanität entsteht nicht durch Herkunft. Wer aufgrund
seiner vermeintlich anteilig nicht-deutschen Herkunft glaubt, gegen Rassismus
immun zu sein, weiß ebenso wenig über Humanität und Anstand wie der Blut-und-
Boden-Nazi. Der Wert eines Menschen bemisst sich nicht nach seiner Herkunft -
weder im Stammbaum, noch in der DNA.
Die Jusos fordern daher alle Parteiinstanzen dazu auf, sich für die Einhaltung
des geltenden Datenschutzrechts durch die Anbieter privater DNA-Tests
einzusetzen. Das gilt insbesondere für den Grundsatz der Datenminimierung, der
eine Anonymisierung der erhobenen Daten nach Abschluss des Auftrags der
Käufer*innen vorschreibt, und für das Verbot, ohne Einwilligung der Käufer*innen
Daten an Krankenkassen oder sonstige Dritte weiterzugeben. Es muss verhindert
werden, dass umfangreiche Datenbanken mit den DNA-Informationen bestimmbarer
Personen entstehen. Außerdem muss sichergestellt werden, dass die Käufer*innen
über die bestehenden Zweifel an der Aussagekraft der Analyseverfahren informiert
werden. Die Rückführung auf bestimmte Nationalitäten ist nicht seriös und im
Sinne des Verbraucher*innenschutzes zu untersagen.
Für den strafprozessualen Rahmen fordern die Jusos weiterhin, auch hier auf
Tests zur methodisch umstrittenen Ermittlung der “biogeographischen Herkunft” zu
Fahndungszwecken zu verzichten und auch die genetische Ermittlung von Haut-,
Augen- und Haarfarbe zu Fahndungszwecken zu untersagen.. Ein direkter Abgleich
zweier DNA-Proben miteinander, wie er bereits seit vielen Jahren zur
Identifizierung von Täter*innen im Zuge von Ermittlungsverfahren vorgenommen
wird, soll weiterhin möglich sein. Ein entsprechendes Verbot der Ermittlung der
„biogeographischen Herkunft“ muss schließlich im Gefahrenabwehrrecht der Länder
verankert werden. Vor allem bei der Prävention von Straftaten besteht sonst die
Gefahr rassistischer Diskriminierungen. Regelungen wie Art. 32 Abs. 1 S. 2
BayPAG sind daher zu unterlassen bzw. aufzuheben.
Quellennachweise:
Begründung
„Ubier, Römer un Franzose,
Jottweißwer leet irj’ndjet he.
Mer sinn Bastarde un stolz drop,
Dat mer uss uns nit schlau weed.“.
(BAP: "Für 'ne Moment")