Veranstaltung: | Unterbezirksdelegiertenkonferenz 2023 |
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Tagesordnungspunkt: | TOP 8.2 Anträge |
Antragsteller*in: | Juso HSG, Jusos Rodenkirchen |
Status: | Zurückgezogen |
Eingereicht: | 11.02.2023, 22:32 |
A12: Prostitution - Wo ein Markt ist wird er auch bedient
Weiterleitung
- Weiterleitung an:
- Landeskonferenz der NRW Jusos
Antragstext
Wir müssen über Prostitution sprechen - gerade in Deutschland und gerade in der
feministischen Linken. Teilen sozialistisch orientierte Gruppierungen noch die
Motivation, die prekären Arbeitsbedingungen von Prostituierten zu verbessern, so
spalten sich die Lager an deren Lösungsansätzen. Im feministischen Diskurs der
letzten Jahre gibt es vermehrt Versuche, vom gesellschaftlich stigmatisierten
Begriff der Prostitution zu einem anerkennenden Begriff der “Sexarbeit” zu
gelangen. Damit einher gehen oft Forderungen, die gesetzlichen Regelungen zum
Wohle der Prostituierten zu liberalisieren. Demgegenüber stehen Forderungen,
Prostitution aufgrund ihrer untrennbaren Verflechtung mit dem kapitalistisch-
patriarchalen System gesellschaftlich zu überwinden.
Deutschlands Standort als Bordell Europas: derzeitige Lage
Bei der Betrachtung der derzeitigen Lage der Prostitution in Deutschland fällt
zuerst auf, dass es an aktuellen statistischen Daten fehlt und einige
Statistiken stark variieren. Man muss einschränkend anerkennen, dass es
schwierig ist, theoriegeleitete Argumente zu den verschiedenen Aspekten des
Prostitutionswesens mit validen Daten zu belegen.
In Deutschland wird schätzungsweise 1,2 Millionen Mal Sex gekauft – und das am
Tag. Dies führt in der BRD zu einem Jahresumsatz von ca. 14,6 Milliarden Euro
durch die Prostitution. Die Anzahl der in Deutschland angemeldeten
Prostituierten liegt laut Statistischem Bundesamt bei 24.940, aber es wird davon
ausgegangen, dass es sich in der Realität um eine weitaus höhere Zahl zwischen
150.000 und 700.000 handelt, Tendenz steigend. Ähnlich wenige wissenschaftlich
zuverlässige Angaben gibt es über die Freier. Jedoch ist davon auszugehen, dass
das Freiertum als fast ausschließlich männliches Phänomen begriffen werden kann,
während 94% der Prostituierten Frauen sind. Daher fokussieren wir uns im Laufe
dieses Antrags mit dem Freier- sowie Zuhältertum als vorwiegend männliches und
Prostitution als vorwiegend weibliches Phänomen.
Freier gibt es in allen gesellschaftlichen Gruppen und Milieus. Statistiken
darüber, wie viele Männer in ihrem Leben als Freier tätig waren, variieren
zwischen jedem 3. und jedem 4. Mann.
Die in Umfragen am häufigsten auftretenden Staatsangehörigkeiten von
Prostituierten in Deutschland sind Rumänien, Bulgarien und Ungarn.
Schätzungsweise 80% der Prostituierten haben keinen deutschen Pass. Während in
21 europäischen Mitgliedstaaten Prostitution legal ist, gilt in sechs EU-
Mitgliedstaaten (Frankreich, Irland, Schweden, Kroatien, Bulgarien) ein
Prostitutionsverbot. Im Zuge der liberalisierten Gesetzgebung seit dem
Prostitutionsgesetz im Jahr 2002 in Deutschland sowie der EU-Osterweiterung
wuchs die Anzahl von armen, jungen Frauen aus Osteuropa, die sich in Deutschland
prostituierten. Denn: Je größer die Unterschiede zwischen den im Bereich
Prostitution geltenden nationalen Regelungen in den EU-Ländern, desto größer die
Unterschiede bei der Größe der Prostitutionsmärkte in den EU-Ländern. Folglich
gibt es eine Verlagerung von Angebot und Nachfrage hin zu nationalen Märkten wie
Deutschland, die EU-interne Bewegungen von Frauen zu Prostitutionszwecken nach
sich zieht. Prostitution ist demnach ein für die BRD nicht unbedeutender
Wirtschaftsfaktor. Gleichzeitig bedeutet sie im gesamten europäischen Raum die
sexuelle Ausbeutung von Frauen aus anderen, überwiegend osteuropäischen Staaten.
Im Zuge des Angriffskrieges Russlands auf die Ukraine flüchteten Millionen von
Frauen aus der Ukraine. Berichten zufolge wurden viele von ihnen schon an der
deutschen Grenze von Zuhältern angesprochen, die versuchten, sie zur
Prostitution zu drängen. Menschenhändler und kriminelle Netzwerke der EU-weiten
Sexindustrie nutzen die besondere Notlage dieser Frauen aus und zwingen sie
mitunter zur Prostitution. Die Ukraine ist jedoch nur eines vieler Beispiele:
Über Länder wie Rumänien und andere osteuropäische Staaten verläuft die aktuelle
Fluchtbewegung aus der Ukraine exakt entlang der traditionellen Route der
Zwangsprostitution (Quelle).
So wird der in der EU mit auf Menschenhandel basierender Prostitution generierte
Umsatz auf eine Summe zwischen fünf und elf Millarden Euro geschätzt.
Kann Konsens mit Geld gekauft werden?
Der seit langem andauernde feministische Kampf um das Konsensprinzip darf in der
Prostitutionsdebatte nicht unter den Tisch fallen und muss in den Kontext der
kapitalistischen Herrschaftsverhältnisse gesetzt werden.
Das Konsensprinzip fordert, dass nicht nur ein “Nein” “Nein”, sondern auch ein
“Ja” “Ja” in der Sexualität bedeuten muss. Ein für den Prostitutionsmarkt
relevanter Aspekt ist, dass Freier nicht wissen können, aus welchen Gründen sich
eine Frau prostituiert. Wie bereits genannt, prägen ökonomische Zwänge,
patriarchale Gewalt oder ein kritischer Aufenthaltsstatus das Leben vieler
Prostituierter maßgeblich. Das Einverständnis, das Prostituierte zum sexuellen
Akt geben, betrifft also nicht den sexuellen Akt, sondern das Geld. Es ist ein
“Ja” zum Geld - da ansonsten negative Konsequenzen (Armut, Obdachlosigkeit oder
Gewalt) drohen, es bleibt aber ein “Nein” zum Sex. Prostitution ist in im Kern
also per se eine Grenzüberschreitung: Freier sowie Befürworter*innen einer
liberaleren Prostitutionspolitik müssen daher immer von der Ausgangssituation
ausgehen, dass die vulnerable Situation einer Prostituierten zugunsten der
Bedürfnisbefriedigung der Freier - ergo der männlichen Sexualität - ausgenutzt
wird.
Zwang, Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt sind seit jeher stabilisierende
Mittel der männlichen Herrschaft. Wird Prostitution inklusive der in Kauf
genommenen Folgen von Grenzüberschreitungen (sexualisierte Gewalt, Femizide,
etc.) als elementarer Teil der männlichen Herrschaft gesehen, dann geht mit
einer kollektiven Emanzipation von patriarchalen Zwängen auch die Überwindung
des Wesens der Prostitution einher. Errungenschaften wie die freie Auslebung
weiblicher Sexualität, die im feministischen Kampf für alle Frauen erzielt
werden muss, können unter diesen Voraussetzungen nicht erreicht werden.
Vor allem in der Prostitution tätige Frauen bleiben so in den patriarchalen,
kapitalistischen Herrschafts- und Knechtschaftsverhältnissen zurückgeworfen und
auf der Basis ihrer Körperlichkeit ausgebeutet.
Prostitution – ein Job wie jeder andere?
Wenn im linken, feministischen Diskurs von “Sexarbeit” gesprochen wird, dann mit
dem Ziel die in der Prostitution beschäftigten Frauen von einem herrschenden
gesellschaftlichen Stigma zu befreien sowie ihre Selbstbestimmungsrechte zu
stärken. In diesem Zusammenhang wird auch versucht, bessere Arbeitsverhältnisse
für Prostituierte zu schaffen, um sie aus der Illegalität und Kriminalität in
eine überwachbare Sphäre zu ziehen. Dieser Anspruch ist an sich nicht falsch,
doch Prostitution wird sowohl kapitalistisch als auch patriarchal bedingt und
zählt nur zur reproduktiven Arbeit, die vor allem durch Unsicherheit und
Unsichtbarkeit geprägt, sowie keine oder schlechte Bezahlung, die vor allem von
Frauen ausgeübt wird. Besonders deshalb gilt es, die Systemkritik in den
Vordergrund zu stellen. Die Individuen und deren persönliche Entscheidungen, die
den systemischen Zwängen unterworfen sind, sollen von der Kritik unberührt
bleiben. Eine konservative, gar moralische Kritik an den Prostituierten selbst
steht im klaren Dissens mit einer marxistisch-feministischen Analyse.
Wie oben ausgeführt, fördert das Prostitutionswesen die Objektifizierung des
weiblichen Körpers mit dem Ziel, das männliche Subjekt - den Freier - zu
befriedigen. Schon dies steht Behauptungen entgegen, dass Prostitution auf der
Basis weiblicher sexueller “Selbstermächtigung” stattfände. Denn: die weibliche
Sexualität bzw. weibliche Subjektivität seitens der Prostituierten ist
ausdrücklich nicht Teil des die Prostitution bestimmenden
Dienstleistungsverhältnisses. Die Grundlage, auf der die Prostituierte sexuelle
Dienstleistungen ausübt, ist die Einwilligung der Prostituierten zu dem dafür
erhaltenen Entgelt. Der Dienstleistungsvertrag wird unter Bedingungen des freien
Markts ausgehandelt, wobei Grenzverletzungen der Prostituierten wissentlich in
Kauf genommen werden. Das zeigt zum Beispiel das im Prostitutionsvertrag
festgelegte Recht von Freiern und Zuhältern, Entgeltforderungen der
Prostituierten zu widersprechen, wenn die vereinbarte Dauer oder die sexuelle
Dienstleistung insgesamt nicht erfüllt wurde.
Indem sexuelle Dienstleistungen in den genannten linken Kreisen unter normale
Lohnarbeit subsumiert und diese als Chance zum individuellen, selbstständigen
Profit der “Sexarbeiterinnen” gesehen werden, wird eine wichtige,
zugrundeliegende Logik von Arbeit im kapitalistischen System bewusst ignoriert:
Prostituierte verkaufen nicht nur ihre Arbeitskraft, von welcher zu einem nicht
unwesentlichen Teil vor allem die Zuhälter profitieren, sondern auch ihre
körperliche und mentale Verfasstheit zur Konsumtion der Käufer. Hierdurch
begeben sie sich in eine “begrenzte, wenn nicht punktuell sklavenähnliche
Gewaltsituation, die das eingeforderte Recht auf freie Selbstbestimmung in das
Gegenteil umschlagen lässt” (Paul Oehlke, S. 46).
In der Form, in der befreite Lohnarbeit unter kapitalistischen
Herrschaftsverhältnissen generell ein Irrtum ist, in der Form ist befreite
Lohnarbeit in der Prostitutionsbranche im Spezifischen ein argumentativer
Zirkelschluss. Denn Angebot und Nachfrage verhalten sich auf dem freien Markt
der Prostitution wie folgt: “Für jede Frau, die einen Freier ablehnen darf, weil
er übergriffig ist, nicht gut riecht oder einfach unangenehm ist, muss irgendwo
eine Prostituierte genau diesen Freier klarmachen” (Hushke Mau). Wenn man
argumentiert, dass freie Lohnarbeit für manche Prostituierte gilt, so gilt dies
nicht für die große Mehrheit.
Die neoliberale Reduktion von Prostitution auf ihre individualistische,
marktspezifische Logiken ist fatal. Wir sozialistisch orientierte Gruppen
sollten uns darin einig sein, dass Liberalisierungen ohne wesentliche
Strukturreformen bis hin zur Abschaffung des kapitalistischen Lohnsystems keine
frei gelebte Lohnarbeit für Individuen erwirken können. Schon gar nicht für
Prostituierte.
Reproduktion von intersektionaler Diskriminierung in der Prostitution
In Anlehnung an Hushke Maus Beschreibung des Zusammenhangs von Prostitution und
Rassismus lässt sich ausweiten: Prostitution lebt von Diskriminierung, ist
Diskriminierung und führt zu Diskriminierung.
Denn oftmals sind es rassistisch diskriminierte Frauen, die in der Prostitution
tätig sind. Prostituierte werden mit der Absicht, mehr Nachfrage zu generieren,
nach ihren “rassischen Eigenarten”, wodurch Rassismen reproduziert und konstant
in das gesellschaftliche Leben hineingetragen werden. Rassismen richten sich
dabei gegen Frauen, die von Freiern entlang von Trennlinien wie bestimmten
Nationalitäten oder Personengruppen eingeteilt werden, beispielsweise sind
antiziganistische Narrative gegenüber Frauen aus osteuropäischen Ländern sehr
verbreitet.
Rassistische und misogyne Diskriminierungsformen greifen dabei intersektional
ineinander. So beobachtet man in Freierforen ablehnende Haltungen gegenüber
sämtlichen feministischen Bestrebungen und der Emanzipation von Frauen, wie
Zitate von US-amerikanischen Freiern wie dieses zeigen: „Warum ich mir eine
asiatische Frau suche? Weil Sie den Mann respektiert, weil sie sich dem Manne
hingibt, weil Sie für den Mann lebt. “Die deutsche Prostitutionspolitik erlaubt
auf diesem Gebiet einen Neokolonialismus, der es deutschen Männern ermöglicht,
Frauen sexuell auszubeuten, auf rassistische Klischees zu reduzieren und sie
sexuell zu versklaven” (Hushke Mau, S. 206).
Der Großteil der in Deutschland tätigen Prostituierten sind Migrantinnen. Aus
diesem Grund werden Bestrebungen, in der Gesetzgebung Arbeitsmigration zum
Zwecke der Prostitution zu untersagen, von Gegner*innen als migrationsfeindlich
bezeichnet, da sie also vor allem den großen Anteil nicht deutscher
Prostituierten treffen würden. Argumentationen wie diese greifen jedoch zu kurz,
wenn man sieht, dass gerade auf Migrantinnen zutreffende Voraussetzungen - wie
ein geringer sozioökonomischer Status, (Mehrfach-)Diskriminierung auf dem
Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft - in der Prostitution reproduziert werden.
So sind gerade sie einerseits besonders gefährdet von der ökonomischen
Abhängigkeit und Verschuldung beim Zuhälter. Sie bilden die vulnerable Gruppe
der potenziellen von Menschenhändlern und ihren kriminellen Netzwerken
verschleppten und unter Ausübung von physischer oder psychischer Gewalt oder
mindestens Ausnutzen ihrer persönlichen oder wirtschaftlichen Zwangslage
ausgebeuteten Zwangsprostituierten. Dies führt zur Schlussfolgerung, dass
migrantische Prostituierte von der Gesetzgebung besonders geschützt und auf
anderen Wegen in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden müssen, anstatt
auf Argumenten zu beharren, die die angeblich freiwillige Arbeitsplatzwahl im
prekären Prostitutionsgewerbe zur Grundlage haben.
In der Prostitution laufen die Ebenen Rassismus, Klassismus, Armut und Misogynie
zugespitzt aufeinander zu. Durch ökonomische Zwänge werden und bleiben Frauen an
die Tätigkeit der Prostitution gebunden. Auch andere Zwänge des
kapitalistischen, patriarchalen Systems, darunter die Ausübung oder Fortsetzung
von Gewalt durch Zuhälter, werden in der Prostitutionsbranche systematisch
reproduziert. Die Erweiterung der marxistisch-feministischen Analyse durch das
Konzept der Intersektionalität muss hierbei das spezifische Zusammenspiel von
Sexismus, Kapitalismus, Klassismus und Rassismus im Kontext der Prostitution
herausarbeiten, um neoliberale Argumentationen pro “Sexarbeit” als
Rechtfertigung kapitalistischer Lohnarbeit zu entkräften.
Beispiel Sexualassistenz – Gibt es “ein Recht auf Sex”?
„Es gibt ein Recht auf die eigene Sexualität. Aber es gibt kein Recht, dass
einem jemand dafür zur Verfügung gestellt wird“ (Hushke Mau).
Das Beispiel der Sexualassistenz verdeutlicht oben genannte Argumente einmal
mehr: Vor Kurzem konnte ein in Folge eines Arbeitsunfalls schwerbehinderter Mann
vor dem Sozialgericht Hannover die Übernahme der Kosten für eine
Sexualassistentin einklagen. Die Begründung des Gerichts: Sexuelle Bedürfnisse
zählen zu den grundlegenden menschlichen Bedürfnissen. Die Erfüllung der
selbstbestimmten Sexualität sei daher die Voraussetzung für eine wirksame und
gleichberechtigte Teilhabe des Mannes an der Gesellschaft. Dieser Fall wirft die
Frage auf, inwiefern die Gemeinschaft dem Recht auf Sex von Männern Rechnung
tragen muss.
Ein Recht auf Sex setzt voraus, dass käuflicher Sex angeboten werden muss und
nimmt somit die Selbstbestimmung der Frauen über ihre eigene Sexualität, da es
eine Grundlage schafft, in der sich Menschen anderen Menschen zum Verkauf
anbieten müssen. Akzeptiert man gesellschaftlich die Notwendigkeit der Erfüllung
männlicher sexueller Bedürfnisse auch unter dem Vorbehalt, damit die weibliche
sexuelle Selbstbestimmung zu unterdrücken, so stützt man die gängigen
Werbeversprechen der allgegenwärtigen Sexindustrie zu tun, die suggerieren, dass
es Männern immer und überall möglich sein muss, sexuelle Lust erleben zu können.
Diesem Versprechen liegt die Annahme des Triebarguments zugrunde, laut dem
Männer einfach nur einem Trieb nachgehen, der natürlich besteht. Der Soziologe
Sven-Axel Månsson hat herausgefunden, dass der Anteil der Freier je nach Land
sehr stark variiert (Schweden: 13%, Japan: 70%). Freiertum ist also nichts
Natürliches, sondern kulturell bzw. sozial bedingt. Freier müssen für ihr
Handeln Verantwortung übernehmen und statt der vordergründigen Motive und
Wünsche müssen auch die Denkmuster beachtet werden, die dahinter stecken.
Fazit
Wir fassen zusammen: Erweckt die von bestimmten linken Gruppen vertretene
neoliberale Darstellung von Prostituierten als Individuen, die der Ausübung
normaler Lohnarbeit mit vorausgegangener freier Arbeitsplatzwahl nachgehen, den
Anschein von gelebter Selbstermächtigung, so müssen wir als Jungsozialist*innen
genau hierin die liberale Rechtfertigung des kapitalistischen Lohnsystems
erkennen und uns dagegen positionieren. Einzelfälle ersetzen keine politische
Analyse.
Die aktuelle Lage Deutschlands als “Bordell Europas” macht es unabdingbar, eine
konstruktive Diskussion über Prostitution zu führen. Auch und gerade im linken
Lager müssen politische Lösungen gefunden werden, die vor allem verbesserte
Bedingungen für Prostituierte schaffen. Prostitution ist der ökonomischen Form
nach ein kapitalistisches Ausbeutungsverhältnis. Den andauernden Gefährdungen
von Prostituierten wollte das Prostitutionsschutzgesetz von 2017 entgegenwirken,
allerdings birgt dieses eine Reihe neuer Probleme; dazu gehört vor allem die
Kriminalisierung der in der Prostitution Tätigen trotz Legalisierung
(genehmigten) Prostitutionsgewerbes. Auch werden personenbezogene und
gesundheitliche Daten über die Prostituierten behördlich erhoben und an die
Gewerbetreibenden weitergegeben, was erneut besonders die Prostituierten trifft
und gegenüber ihrem Arbeitgeber vulnerabel macht.
Wir glauben nicht, dass eine weitere Liberalisierung der Prostitutionsgesetze zu
verbesserten Bedingungen für Prostituierte führen, denn liberalisierte
Gesetzgebung hat eine normative Wirkung, schafft mehr Nachfrage, die mehr
Angebot benötigt, welches niemals von "selbstbestimmten Sexarbeiter*innen”
gefüllt werden kann. Wo ein Markt ist, wird er auch bedient. Das Stigma
bezüglich Prostituierter muss sich verändern, jedoch darf ein Sexkauf nicht
gesellschaftlich normalisiert und befördert werden. Der Blick auf die Freier
darf in einer Betrachtung der Prostitution niemals fehlen.
Wenn Frauen gegen ihren Willen in die Prostitution gezwungen werden,
missbraucht, misshandelt und ermordert werden, dürfen wir nicht nur zugucken,
sondern müssen uns dafür einsetzen, dass jede Frau selbstbestimmt leben kann.
„Ich bin nicht frei, solange eine einzige Frau unfrei ist“ - Audre Lorde
Forderungen
- Es müssen Maßnahmen für einen erleichterten Ausstieg aus der Prostitution
geschaffen werden, darunter Ausstiegsprogramme und Hilfen zur physischen
und psychischen Rehabilitation
- Prostituierte gänzlich entkriminalisieren und entstigmatisieren. Ihre
eigene Ausbeutung darf niemals zur Bestrafung von Prostituierten führen
- Legalisierung bedeutet nicht Entkriminalisierung - keine Sondergesetze für
Prostituierte
- Bei zukünftigen Gesetzgebungen sollten Freier und Zuhälter in den Blick
genommen werden & sichergestellt werden, dass nicht die Prostituierten
bestraft werden
- Die Bekämpfung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Ursachen der
Prostitution muss auf nationaler sowie auf EU-Ebene stattfinden, z.B.
durch Unterstützung der Mitgliedstaaten bei der Bekämpfung von
Frauenarmut, sozialer Ausgrenzung und Diskriminierung
Quellen:
- Die unterschiedliche Regelung der Prostitution in den EU-Mitgliedstaaten und
ihre grenzüberschreitenden Auswirkungen auf Frauenrechte, FEMM Ausschuss:
https://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/STUD/2021/695394/IPOL_STU(2021)695-
394(SUM01)_DE.pdf
- Entmenschlicht: Warum wir Prostitution abschaffen müssen, Hushke Mau (2022)
- Ukrainerinnen auf der Flucht: „Oft schon an Grenze von Zuhältern
angesprochen“, mdr.de: https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen/leipzig/leipzig-
leipzig-land/frauen-ukraine-krieg-flucht-gewalt-prostitution-leihmuetter-
100.html
- Kontroversen um Prostitution : Eine aktuelle Debatte, Paul Oehlke (2018)
https://www.genderopen.de/bitstream/handle/25595/1325/FW-18-3-
Oehlke_Kontroversen.pdf?sequence=1&isAllowed=y
- Gesundheit: Von Lust und Frust der Freier, Der Tagesspiegel:
https://www.tagesspiegel.de/gesundheit/von-lust-und-frust-der-freier-
1312009.html
- Romantiker oder Chauvinisten, Süddeutsche Zeitung:
https://www.sueddeutsche.de/wissen/prostitution-romantiker-oder-chauvinisten-
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